Braucht es mehr Bürgerdialog?

Der Seelscheider Sommer hat es gezeigt: Das zentrale Thema in der Gemeinde ist derzeit die Planung eines neuen Baugebiets entlang der Scherpemicher Straße in Seelscheid. Die meisten Besucher an unserem Stand der GRÜNEN sprachen uns darauf an. Das Publikumsinteresse war jedoch am größten bei der Bürgerinitiative, die mit einem eindrucksvollen Modell die debattierten Probleme verdeutlichte. Dieses Engagement erinnert uns GRÜNE an die Initiative-NKS vor fast zehn Jahren. Damals versuchten Bürgerinnen und Bürger, der Politik klarzumachen, dass eine von der Gemeinde vorangetriebene Bebauungsplanänderung eines Gewerbegebiets gravierende Mängel aufwies. Letztlich stoppte nur ein Eilbeschluss des Oberverwaltungsgerichts in Münster das Vorhaben. So weit sollte es bei der Scherpemicher Straße nicht kommen. Doch während die Bürgerinitiative 2024 in Seelscheid fleißig weiter Unterschriften sammelt, stellen wir fest, dass die politischen Akteure unserer Gemeinde offenbar nichts dazugelernt haben.

Einige behaupten, die geplante Bebauung sei mit ihnen nicht machbar. Gleichzeitig stimmen dieselben Leute im Bauausschuss für die Auflassung eines Bebauungsplans, der genau diese Bebauung vorsieht. Unter dem Deckmantel der „Bürgerbeteiligung“ wird vorgegaukelt, man könne das Vorhaben noch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger abändern. Diese Sichtweise verschleiert jedoch, dass der angebliche Bürgerdiskurs nicht auf Augenhöhe stattfindet. Denn die Grundlage der Bürgerbeteiligung ist nicht die Frage, ob und wie die neue Fläche bebaut werden soll, sondern wie groß die Kröten sind, die die Bürgerinnen und Bürger schlucken müssen, damit der Investor seine Ideen verwirklichen kann. Die Initiativler von vor zehn Jahren können ein Lied davon singen, welchen Stellenwert derartige Einwendungen haben: nämlich keinen. In der sogenannten Abwägung wurden damals dutzende Einwände durch die Verwaltung entwertet, sodass sie keinerlei Berücksichtigung fanden (auch jene, die das OVG in seinem Urteil später heranzog). Welche Wirkung eine solche Provokation eines Ohnmachtsgefühls bei den Bürgerinnen und Bürgern hervorruft, möchten wir uns in Zeiten eines erstarkenden Rechtsrucks in der Gesellschaft gar nicht vorstellen. Wir rufen unsere Bürgermeisterin Nicole Berka dringend dazu auf, als Vermittlerin aufzutreten und den Dialog zwischen den Akteuren zu fördern, um eine Lösung zu finden, die tatsächlich im beiderseitigen Einvernehmen ist.

Andere behaupten, dass bei großen Bauprojekten immer Beschwerden von Anwohnern kommen und man darüber hinwegsehen müsse. Diese menschenverachtende Sichtweise spricht den Bürgerinnen und Bürgern ihr Mitspracherecht im demokratischen Prozess ab und offenbart eine katastrophale Fehleinschätzung der Lage. So wie sich Bürgerinnen und Bürger der gesamten Gemeinde vor zehn Jahren gegen die Umwandlung eines Gewerbe- in ein Industriegebiet wandten, so sind es heute Bürgerinnen und Bürger aus dem gesamten Gemeindegebiet, die mit Schrecken zur Kenntnis nehmen, welche grotesken Planungen Verwaltung und Politiker vorantreiben. Die Menschen sehen die Planung an der Scherpemicher Straße und sagen: „Das will ich auch nicht in meinem Dorf. “ Niemand will so etwas vor seiner Haustür. Nicht in Eischeid, nicht in Schöneshof, nicht in Pohlhausen oder Mohlscheid oder sonstwo. Bürgerinnen und Bürger, die heute mitbekommen, mit welcher Selbstverständlichkeit einige Ratsmitglieder bereit sind, die Interessen und Bedürfnisse ihrer Wähler zu ignorieren, müssen damit rechnen, dass ihr Wohnort als nächstes dran ist.

In dieselbe Kerbe schlagen jene, die nun auf der politischen Ebene um Verbündete buhlen. Das Volk habe sich gegen die wohlwollenden und Wohlstand fördernden Bemühungen der im Rat agierenden Volksvertreter gewendet. Nun müsse man in der Politik zusammenrücken und den Wählern zeigen, wo Bartels den Most holt. Denn, wo kämen wir hin, wenn man sich tatsächlich von den Bürgerinnen und Bürgern am Ring durch die Arena ziehen ließe. Genau diesem Buhlen um Unterstützung werden wir GRÜNE garantiert nicht nachgeben. Und zwar nicht aus politischem Kalkül, sondern weil es in unserer DNA liegt, in den Dialog zu treten und basisdemokratische Entscheidungen herzustellen. Wer beispielsweise schon einmal Reden von Annalena Baerbock oder Robert Habeck zugehört hat, wird erkennen, dass sie geprägt sind von dem Versuch, Politik zu erklären und Sachverhalte differenziert darzustellen, statt in plumpen Populismus zu verfallen. In der Ratsfraktion der GRÜNEN sitzen mehrere Vertreter aus der ehemaligen Initiative von vor zehn Jahren, die sich gut daran erinnern, gegen welche Wand man als Bürgerin oder Bürger läuft, wenn man nur als Stimmvieh angesehen wird und im Diskurs nicht ernst genommen wird. Wir GRÜNE werden den Dialog zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den Akteuren im Entscheidungsprozess immer ernst nehmen und fördern, weil es uns ernst und wichtig ist und unser Verständnis von Demokratie so funktioniert.

In diesem Sinne freuen wir uns über weitere Gespräche mit Euch und möchten Euch ermutigen, standhaft für Eure Interessen in der Gemeinde einzutreten. Das ist gelebte Demokratie und sicherlich besser, als bei der nächsten Wahl sein Kreuz bei jenen zu setzen, die meinen, für alles eine einfache Lösung zu finden.

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